Drei ungewöhnliche Ausstellungen in der Lothringer 13, im Minisalon und Raum 58
Süddeutsche Zeitung, 23.10.2006
Manchmal erwarten einen in Off-Spaces und von Künstlern organisierten Ausstellungen generösere Kunstexpeditionen, als es der beschränkte Rahmen eigentlich zulässt. Zumindest ist das derzeit geballt der Fall. In der Ladengalerie der Lothringer 13 geben drei mit einem Mal sehr weltläufig gewordene Münchner Künstler Auskunft von ihrer über Monate hinweg real eingelösten Fernsucht. „Weg. Weit weg!“ wollte Stephanie Senge, Daniel Kufner und Stefan Wischnewski laut des Ausstellungstitels und nicht eines der gängigen Stipendien – in London etwa- absolvieren. Dass sich unter den „exotischen Impressionen“ auch das künstlerische Vokabular massiv wandelt, liegt auf der Hand.
Stephanie Senge hat unter dem Eindruck ihres Ikebana-Kurses in Tokio eine ungewöhnliche Variante der Blumensteckkunst ausgetüftelt. Haushaltsutensilien und andere Konsumartikel fügt sie nach den gestrengen Ikebana-Spielregeln zu skurril blühenden Gestecken. Bei Skandinavien-Expeditionen ist man in den Fjorden ohne Segelboot unweigerlich aufgeschmissen: Stefan Wischnewski projiziert im wahrsten Sinne des Wortes seinen Langzeittrip im hohen Norden auf ein spielzeugartiges Einmannboot, dessen Segel aus den von Diavorführungen bekannten Leinwänden montiert sind. Daniel Kufner wiederum erweckt den Eindruck, er sei nach seiner Afrikasafari künstlerisch ungefiltert ganz in die fanatisierte Tierschützerfraktion übergetreten. Mit einem in den Galerieraum versetzten „Veterinärzaun“ macht er auf die tödliche Gefahr der in Botswana verbreiteten Weidelandbegrenzung für Wildtiere aufmerksam. (Bis 15, Dezember, Lothringer Straße 13).
Wer lieber in galaktische Gefilde geschleudert werden will, ist in der Wohnungsgalerie von Rüdiger Belter am richtigen Ort. Im „Minisalon“ hat die bereits bei der Jahresausstellung der Akademie aufgefallene Japanerin Motoko Dobashi ihre blaugrau getönten Landschaftsphantastereien monumental an die Wand transferiert. Die zwei durch die Sanitärzone getrennten Malereien in Küche und Wohnzimmer überbrückt sie illusionistisch mit einem gleichsam über die Wand strömenden Wasserfall. Zwischen Illustration, Naturalistik und Abstraktion schwankt ihr wunderbar stellares und doch auch mit Bäumen sowie anderen Landschaftsrelikten versehenes Weltenbild. Ionen scheinen wie kleine Tennisbälle oder Reisbällchen aus dem Bild zu purzeln, stellen ihre angeblich vitalisierende Kraft werbeträchtig zur Schau. Dobashi ist vor allem ganz geschickt im Öffnen an sich widersinniger Perspektiven. Orientierungslos geworden, lassen sich unter ihrer visuellen Anleitung wie im Katzensprung Himmel und Erde, Asien und Europa, Esoterik und Wissenschaft, ja sogar Lichtjahre durchmessen. (Bis 24. November, Landsberger Straße 129, freitags 14-18 Uhr und nach Vereinbarung unter 0179-169 78 10.)
Eher in die innere Immigration geht es im Raum 58. Dort umreißt Stephanie Trabusch mit lapidarem grafischen Strich Zustandsbilder einer seelischen Missstimmung, eines merkwürdigen Unwohlseins. So klassisch sich die gezeichneten Stilleben, Porträts, Gebäude ausnehmen, das innere Gefüge ist aus dem Lot geraten. Der sonst so tote Hummer funkelt bösartig mit seinen schwarzen Augknöpfen, aus einem Goldtempel steigen Rauchwolken auf, die Rosen wirken schon an ihren Stielen wie zerfressen. Und aus dem Brustbild einer in Hausarbeit befangenen, kopflosen Frau quellen Gedärme. Schön ruppig, dieser eher in den Auslassungen als im Bezeichneten zu Papier gebrachte Überdruss an Gott und der Welt. (Bis 19. November, Kazmairstraße 58, freitags 14-18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter 0172-865 53 18.)
Birgit Sonna